KURZ GESAGT!
_Gewaltfreie Erziehung ist ein Kinderrecht
_Die Reckahner Reflexionen laden ein, den Umgang mit Kindern selbstkritisch zu hinterfragen
_In Morbach ist das Konzept in der pädagogischen Fachberatung verankert
Beziehungen sind das Herzstück pädagogischer Arbeit. Im Alltag mit Kindern kommt es auf Feinfühligkeit, Sprache und Haltung an – oft in herausfordernden Situationen. So kann es trotz bester Absichten passieren, dass der Ton zu scharf, der Kommentar verletzend ist. Dies geschieht zumeist aus einem Affekt heraus, weniger aus der Absicht, das Kind herabzuwürdigen. Für das betroffene Kind macht dies jedoch keinen Unterschied. Grund genug, das eigenen Handeln und Tun zu hinterfragen. Anregungen dazu geben die sogenannten Reckahner Reflexionen, die von der Erziehungswissenschaftlerin Annedore Prengel gemeinsam mit Mitstreiterinnen und Mitstreitern anderer Professionen entwickelt wurden.
Diese ethischen Leitlinien für Lehrkräfte, pädagogische Fachkräfte und verantwortliche Erwachsene in allen Bereichen des Bildungswesens formulieren in nur zehn kurzen Absätzen, was in der Beziehung zwischen Erwachsenen und Kindern ethisch begründet beziehungsweise ethisch unzulässig ist. „Diese Leitlinien geben eine Möglichkeit der Haltung im pädagogischen Miteinander vor“, erklärt Jasmin Kühl, KIR-FAM-Fachkraft der Gemeinde Morbach. KIRFAM steht für Kinderrechte, Resilienzorientierung, Familienunterstützung.
„Gewalt wird bis heute eher auf einer körperlichen Ebene wahrgenommen. Seelische Verletzungen stehen viel weniger im Fokus. Die Leitlinien sollen pädagogische Fachkräfte anregen, darüber nachzudenken, was ihre Sprache oder ihre Haltung bei den ihnen Anvertrauten bewirken kann – im negativen wie auch im positiven Sinn“, fasst sie zusammen. Sie hat die Fortbildung „Train the Trainer“ zu den ethisch-pädagogischen Orientierungshilfen absolviert. Jasmin Kühl und ihre Kollegin Miriam Vogt arbeiten gemeinsam als Fachberaterinnen für die Gemeinde Morbach und sind für den Bereich Kinderschutz und Kinderrechte Ansprech-partnerinnen. Beide Pädagoginnen stehen den acht Einrichtungen des Trägers beratend zur Seite.
Ein Leitbild entwickeln und leben
Orientiert eine Einrichtung ihr Leitbild an den Kinderrechten, erfordert dies eine fortlaufende Auseinandersetzung damit, da das Thema den Kita-Alltag auf vielfältige Weise und auf zahlreichen Ebenen prägt. Darum ermöglichte der Kitaträger allen acht Kitateams, die Grundsätze ethisch-pädagogischer Haltung nach Reckahn im Rahmen einer Inhouse-Fortbildung kennenzulernen, was die Basis für ein gemeinsames Verständnis geschaffen hat. Trotzdem ist die Expertise von Jasmin Kühl und Miriam Vogt im Kita-Alltag gefragt, denn die Leitbilder müssen in die Praxis übertragen, also gelebt und womöglich angepasst werden.
„Konkret sieht das so aus, dass wir beispielsweise die Kitateams bei der Erarbeitung und Überprüfung ihrer Schutzkonzepte beraten“, erklärt Jasmin Kühl ihre Aufgabe. „Oder wir schauen uns Schlüsselsituationen wie das Mittagessen an: Was könnte hier verbessert werden? Wann fällt es den Kolleginnen und Kollegen schwer, gegenüber den Kindern eine positive Haltung zu bewahren?“ Die Teams oder die Leitungen können die Beraterinnen natürlich auch unkompliziert kontaktieren, wenn es ganz akuten Bedarf gibt. „Manchen fällt es schwer, offen anzusprechen, wenn sie das Verhalten einer Kollegin oder eines Kollegen als problematisch empfinden. In solchen Fällen unterstützen wir mit Impulsen für eine wertschätzende und konstruktive Feedbackkultur im Team“, nennen die Pädagoginnen ein Beispiel. Darüber hinaus gibt es Präsenzzeiten in den Einrichtungen, in denen sie und ihre Kollegin direkt vor Ort sind. „Es ist ein lebendiger Austausch“, fasst Miriam Vogt zusammen.
Herausforderungen meistern
Wollen sich Kindertageseinrichtungen mit den Reckahner Reflexionen beschäftigen und diese in ein Leitbild gießen, müssen sie dafür die nötigen personellen und zeitlichen Ressourcen einplanen. Neben diesen strukturellen Herausforderungen sieht Miriam Vogt eine weitere in der Bereitschaft der einzelnen Teammitglieder, sich mit der eigenen Biografie auseinanderzusetzen.
„Wie gelingt es, die Mitarbeitenden zum Nachdenken zu bringen, sodass sie an die eigenen internalisierten Überzeugungen und Werte herangehen und daran arbeiten? Wir bemerken hier oft eine große Verunsicherung“, verdeutlicht Jasmin Kühl und ergänzt: „Institutionen sind noch nicht lange gesetzlich dazu verpflichtet, sich mit gewaltfreier Erziehung zu befassen und sie umzusetzen.“ Es sei deshalb für so manche Fachkraft eine große Veränderung, viele kennen diesen Ansatz aus der eigenen Ausbildung nicht. „Dann kommen Fragen auf wie: ‚Darf ich denn jetzt gar nichts mehr? Nichts mehr sagen, bestimmen, entscheiden?‘“ Leitungen müssten gerade diese verunsicherten Teammitglieder gut mitnehmen. Denn gewaltfreie Erziehung ist nicht gleichbedeutend mit „Kuschelpädagogik“. Kühl: „Kinder brauchen für eine gesunde Entwicklung Sicherheit und Klarheit von Erwachsenen, die diese Verantwortung in einer wertschätzenden Weise wahrnehmen.“ Das sind neben den Kitafachkräften natürlich auch die Eltern.
Um auch diese für das Thema Kinderrechte zu sensibilisieren, finden in den Einrichtungen, für die Jasmin Kühl und Miriam Vogt zuständig sind, jährlich Projektwochen oder -tage statt. Die Kinder erarbeiten dazu an jedem Tag auf unterschiedlichste Weise ein Kinderrecht – und berichten davon natürlich ihren Eltern. Diese werden außerdem zu einem Präsentationsnachmittag eingeladen, der regelmäßig gut besucht ist. Eine gute Gelegenheit, ganz niederschwellig zu Kinderrechten ins Gespräch zu kommen. Klassische Elternabende haben sich als weniger erfolgreich erwiesen. „Die Kitaleitung kann das Thema auch bei den Aufnahmegesprächen anbringen, wenn den Eltern das Konzept und Leitbild der Einrichtung erklärt wird“, schlägt Kühl außerdem vor. Das fördere eine gemeinsame Verständigung auf die Grundhaltung: Keine Gewalt!
Weitere Informationen
Die Reckahner Reflexionen zum Nachlesen:
www.paedagogische-beziehungen.eu































